08 Mai 2009

Auf dem Weg zum Grundeinkommen - Ein Tagesbericht

29. April 2009, Basel und Freiburg i.B.

12 Uhr, die große Aula der Universität Basel füllt sich, am Eingang werden Zettel verteilt, auf denen vor den Absichten des Milliardenschweren Unternehmers Götz Werner mit dem Grundeinkommen gewarnt wird, insbesondere was die Finanzierung durch die Mehrwertsteuer betrifft.
Ueli Mäder, Prof., Dr., bekanntester Soziologe der Schweiz, Dekan der Philosophisch Historischen Fakultät hat eingeladen und moderiert. "Psyche, Macht und Grundeinkommen" ist der Titel der Veranstaltung. Interesse am anderen Menschen und an der Welt, sagt Götz Werner, sei seine Triebfeder. Ob das nicht machtimmanent sei, der Wille zur Macht nicht vorausgesetzt sei bei seiner Karriere, fragt eine Psychologin und glaubt den friedlichen Klängen des Konzernchefs nicht. Es sei ja nicht unüblich, sagt ein Assistent von Prof. Mäder, dass jemand, nachdem er sich materiell bestens ausgestattet hat, dann auch noch das Gefühl verschaffen will, das alles verdient zu haben, in dem er sich für etwas Gutes einsetzt, etwas Soziales.




Götz Werner spricht über etwas anderes. Es sei die Folge der Geschichten von Onkel Dagobert, erklärt er, dass die Menschen nicht unterscheiden könnten zwischen Kapital und Privatvermögen. Das Unternehmen ist Aufgabe, nicht Anspruch. Zum Grundeinkommen sei er durch seine geschäftliche Tätigkeit gekommen, weil den Menschen ihre Arbeit, ihr Beitrag zum Unternehmen wie auch zur Gesellschaft nur ermöglicht, nicht bezahlt werden kann.

14 Uhr, Götz Werner, Ueli Mäder und eine Schar Interessierte wechseln den Ort, treffen sich im unternehmen mitte zum Gespräch im kleinen Kreis. Daniel Häni Gastgeber, Enno Schmidt moderiert. Finanzkrise, Zinsspirale, das ganze Geld bei einigen wenigen, das war schon vorher Thema. Götz Werner sieht das Geld im Fluss. Dass die Gewinne sozialisiert werden, wie im Sozialismus, habe den Menschen nicht viel gebracht. Dass sie in die Hände der Unternehmer/Eigentümer fließen, sei nicht so schlecht. Das eine sei die Ertragserzielung, dass man Erträge erzielt, das andere die Ertragswidmung, letztlich das Schenken. Das sieht Ueli Mäder nicht so. Den Reichtum der gnädigen Haltung der Reichen überlassen? Feudalisierung der Gesellschaft? Es müsse gesetzliche Regeln geben, Steuern, die einen größeren Anteil des Reichtums der wenigen zu den vielen bringen. Besser sei, so Werner, wenn im Finanzzirkus einiges schlicht verboten sein. Wie im Straßenverkehr, Regeln. Z.B. im Aktienrecht. Wenn der Aktionär nicht nur mit dem Aktienwert haftet, sondern mit seinem Privatvermögen, würden die Exzesse umgehend aufhören.



Und das Grundeinkommen? Mäder ist für die Ausweitung und Aufstockung der staatlichen Ergänzungsleitungen für Bedürftige ohne Bedürftigkeitsprüfung, automatisch durch das Finanzamt. Das bedingungslose Grundeinkommen befürwortet er generell und schon seit langem, sieht in dieser Debatte im Moment aber eher eine Konkurrenz für die möglichen Schritte bei den Ergänzungsleistungen. Die kleine Runde nimmst zur Kenntnis, sieht aber eher die Ergänzung als die Konkurrenz, die Ergänzungsleistungen als Schritt auf dem Weg zum Grundeinkommen. Mäder und Werner, beide hochkarätig, reden doch in Manchem aneinander vorbei. Mäder geht vom Unternehmerischen aus als radikale Gewinnorientierung für die Taschen der Eigentümer auf Kosten auch der Mitarbeitenden. Er geht vom Sozialen und staatlich Sozialen aus als nachträglicher Umverteilung. Werner spricht von einem Unternehmertum, dem das Erzielen wie das Widmen von Ertrag treuhändische Aufgabe ist. Wert und Ertrag des Unternehmens sind nicht privates Geld. Sinnorientierung. Ein Begriff von Wirtschaft, der noch gar nicht im Bewusstsein ist?

20 Uhr,
Freiburg, Festsaal der Schule St. Georgen. Am Eingang werden Kronen verteilt wie im Film Grundeinkommen in der Szene am Hauptbahnhof. Jeder ein König, eine Königin, jedem ein Grundeinkommen. Der Bürger ist Souverän – auch ohne Krone.



"Die Einkommenslosigkeit blockiert die Arbeit" heißt ein Artikel, der druckfrisch ausliegt.



Voller Saal, rund 500 Menschen, besetzte Stühle auch auf der Bühne.



Claudia Hecklau, Grundeinkommensaktivistin aus Freiburg, Daniel Häni und Götz Werner stehen Rede und Antwort.



Erstes Bürgergespräch zum Grundeinkommen. Enno Schmidt moderiert und lenkt die Fragen aus der Bürgerschaft auch immer wieder mal zurück zu in den Saal. Denn in den Händen aller liegt die Einführung des Grundeinkommens. Protagonisten gibt es auch unter ihnen, Statements kommen so häufig wie Fragen. Und nicht erst später und gegen die Mächtigen, sondern jetzt findet das Grundeinkommen statt, jetzt in diesem Bürgergespräch mit mehr Zutrauen zur eigenen Überzeugung als zur Verhinderungsgewalt abstrakter Gegner.





Ob man es nicht gleich und gleichsam testweise in Freiburg einführen könne, fragt jemand. Dann wäre die Stadt wohl schnell überbevölkert, schießt als Bedenken in den Saal. Besser vielleicht in Mecklenburg-Vorpommern. Es gäbe wieder Einkommen in der Provinz, die Leute blieben, das Land würde nicht nur Testfeld genmanipulierter Kartoffel und Schlachtfeld gigantischer Schweinemastfabriken. Die vielen kleinen lokalen Kulturinitiativen erhielten Aufwind, machten Gegend und Leben attraktiver. Gestaltungsspielräume wären zu nutzen. Alternativen und sinnvolle Arbeit gibt es genug, wo man die Erwerbsbrille absetzt und die Augen auf macht.



Aber die Finanzierung, Zahlen, Berechnungen? Manche Fragen im Saal sind die Fragen von Bekannten und Verwandten, mit denen man über das Grundeinkommen sprach. Peinlich, ertappt, keine Antwort gewusst. Eigene Meinung und keine Ahnung? Aber muss man alles beantworten können? Das Grundeinkommen ist kein Verkaufsgut, wer es befürwortet kein Verkäufer, der eine Bedingungsanleitung vorzulegen hat, kein Kreditnehmer gegenüber einem Gläubiger, dem man einen Businessplan abzugeben hat. Man verkündet auch keinen Politikerentscheid, dem gegenüber der andere sich nur durch Skepsis behaupten kann. Menschen sind verschieden, Erfahrungen und was einem wichtig ist auch.



Eine "ergebnisoffene Forschungsfrage" nennt Götz Werner die Debatte ums Grundeinkommen. Und genau so ist sie am fruchtbarsten. Die Initiative liegt bei jedem Einzelnen.

Enno Schmidt


Fotoalbum

2 Kommentare:

B.I. streetworker hat gesagt…

Mich würde interessieren, was Herr Mäder mit "Unternehmer", "Reichen" und "Reichtum" genau meint.

B.I. streetworker hat gesagt…

Nachtrag: es soll angeblich auch einen "Willen zur Ohnmacht" geben...