12 November 2007

Eine Systemfrage nicht eine der Machbarkeit



Aus einem Interview mit dem deutschen Soziologen Oskar Negt in der Zeitung Espace:

"Ist ein bedingungsloses Grundeinkommen überhaupt finanzierbar?

Es ist ja nicht so, dass die Gesellschaft das nicht bezahlen könnte. Wenn man das Grundeinkommen des Einzelnen auf die gesamte Bevölkerung hochrechnet, ist das gemäss diverser Studien nicht viel mehr als das, was man heute schon für den sozialen Kitt ausgibt. Aber es geht hier um eine prinzipielle Frage. Wenn alles marktorientiert ist, und gegenwärtig ist die Gesellschaft ein Anhängsel eines Marktes im Privatisierungswahn, dann kann man kollektive Prinzipien der Organisation und ein Grundeinkommen nicht zulassen.

Wir haben also die Wahl?

Ja, es ist eine Systemfrage und nicht eine der Machbarkeit. Man muss eben darangehen, die Vorstellung von einer Gesellschaft zu revidieren, die den flexiblen, allseits verfügbaren Menschen zum Massstab macht. Im Kern geht es doch um die Frage, welche die Publizistin Marion Gräfin Dönhoff einmal sinngemäss so formulierte: «Wie kriegt man den Kapitalismus zurück in den Kulturzusammenhang einer zivilisierten Welt?» Dazu gehört nicht zuletzt auch eine ökonomische Kompetenz, die den Menschen in Schule und Ausbildung vermittelt werden muss, so dass sie die Regeln der Marktwirtschaft zwar begreifen, aber gleichzeitig auch Entwicklungen durchschauen, die auf eine Überstülpung der Gesellschaft durch einen betriebswirtschaftlichen Imperialismus hinauslaufen.


In unserer so genannt zivilisierten Welt nehmen die Möglichkeiten der Medizin rasant zu, gleichzeitig steigen die Gesundheitskosten ständig. Sehen Sie sozialen Sprengstoff, wenn es beim Gut Gesundheit zu einer Mehrklassengesellschaft kommen wird?

Es geht natürlich hier um die Frage der Verteilung von Gesundheit und Krankheit in einer Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die viele Menschen krank macht, produziert zusätzliche Kosten im Gesundheitssystem. Die eigentlichen klinischen Krankheiten werden behandelt, aber zum Beispiel präventive Beratungstätigkeiten vorwiegend privat finanziert. Dass die Menschen in ihrer ganzheitlichen Verfassung versorgt werden, halte ich für ein Element des Kostensparens. Dieses vorbeugende Element in allen Bereichen der Gesellschaft wird leider immer noch viel zu gering veranschlagt – das gilt für Bereiche wie Sicherheit und Kriminalität, aber auch für Integration und Gesundheitsvorsorge. Mittel- und langfristig wären diese Massnahmen kostensparend – und sie würden den Weg in eine humanere Gesellschaft ebnen."


Link zum ganzen Interview

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