18 August 2007

"Die Arbeitsgesellschaft ist in einer Sinnkrise"

Ein sinnreiches Interview mit Theo Wehner in der Neuen Zürcher Zeitung. Herr Wehner ist Professor für Arbeitspsychologie an der ETH Zürich:

"... Das Tätigsein macht einen Menschen zur Persönlichkeit. Arbeiten ist eine Tätigkeit, aber auch Schlafen und Sicherholen und Faulenzen. Nur eine Integration der beiden Reiche führt dazu, dass die Freizeit nicht zur kompensatorischen Gegenleistung der Arbeit - und womöglich zum Fluch der Moderne - wird. ..."

NZZ: Was würde sich ändern, wenn es ein soziales Grundeinkommen für alle geben würde?

"Dass man über ein solches Szenario nachdenkt, halte ich für äusserst begrüssenswert. Bei einem Grundeinkommen würde sich natürlich zeigen, wer zusätzlich noch arbeitet und wer seine Lebensansprüche auf das Grundeinkommen reduziert. Was diese Personen mit der freien Zeit täten, wäre äusserst interessant zu wissen. Ich vermute, sie würden - etwa im häuslichen und privaten Bereich - mehr zustande bringen, als manch ein Sozialhilfeempfänger oder Langzeitarbeitsloser heute. Denn viele Arbeitslose sind durch den unfreiwilligen Wegfall der Arbeit derart blockiert, dass sie teilweise ihre persönlichen Pflichten nicht mehr erfüllen oder ihren Hobbys nicht mehr nachgehen können."

NZZ: Arbeitslose haben durch die soziale Absicherung doch schon heute so etwas wie ein Grundeinkommen, es heisst einfach anders.

"Ein Grundeinkommen würde psychologisch und gesellschaftlich anders bewertet als die Tatsache, auf Arbeitslosengeld angewiesen zu sein. Die Arbeit dokumentiert in der Arbeitsgesellschaft, dass man dazugehört und eine gesellschaftliche Aufgabe erfüllt. Zusätzlich ist sie eine nicht hinterfragte Disziplinierungs- oder Sozialisierungsmassnahme. Diese Annahmen und Ansprüche muss man aufgeben. Arbeit soll persönlichen und gemeinschaftlichen Sinn ergeben und Spass machen. Sinn ist keine reine Erlebniskategorie, Sinn wird durch Betätigung hergestellt. An einem Grossteil der heutigen Industrie- und Dienstleistungsarbeitsplätze Sinn zu generieren, fällt jedoch immer schwerer. Alle Psychopathologien, die wir heute bei der Arbeit kennen - Mobbing, Burnout oder innere Kündigung -, sind eigentlich Resultate einer gescheiterten Sinnsuche. Es wird niemand als Mobber geboren, und Ausbrennen ist keine natürliche Verschleisserscheinung."

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